Richard Laymon: „Das Inferno“
Richard Laymon: „Das Inferno“
(„Quake“, dt. Ausgabe Heyne 2010) Horror, Thriller
Auf Facebook wurde ich mal als medialer Jesus bezeichnet, der die Last der schlechten Filme und Romane auf sich nimmt. Um den Vergleich aus narzisstischen Gründen zu unterstützen, war ich dann auch mal entsprechend jesusmäßig gnädig und gab einem Sünder eine zweite Chance. Der Sünder war Richard Laymon und seine Sünde die Lust, doch vielleicht hatte er ja nur einen schlechten Tag gehabt. Vielleicht würde „Das Inferno“ ja besser.
Story: Ein gewaltiges Erdbeben legt große Teile von Los Angeles in Schutt und Asche und die Erzählung folgt einer dreiköpfigen Familie (Vater Clint, Mutter Sheila und Tochter Barbara), die im darauffolgenden Chaos von einander getrennt versuchen, zu überleben und heim zu kommen. Dabei kommt ihnen aber in die Quere, dass der Erdstoß offenbar den Ein-Aus-Schalter der Zivilisation umgelegt hat, so dass an einem einzigen Tag, noch vor dem Eintreffen der Nationalgarde nackte, blutdürstige Banden durch die Straßen ziehen und menschliche Skalps sammeln. Der Schlimmste von allen ist Nachbar Stanley, der ein armer Außenseiter und damit für Laymon bekanntlich Abschaum ist. Der hat nämlich die verschüttete Sheila gefunden und plant, sie zu vergewaltigen.
Lange glaubte oder vielmehr hoffte ich, Laymon arbeite auf irgendeinen Twist hin. Einen Rage-Virus, Hohlweltdämonen oder eine verstrahlte Venussonde – aber nein. Die Prämisse ist einfach nur „Gelegenheit macht kannibalistische Serienmörder“. Bei allem Zynismus, mit dem auch ich meine Spezies gern betrachte… das ist Schwachsinn. Plünderungen, aus dem Kampf ums Habe entstehende Gewalttaten, Vandalismus und vielleicht auch lang ersehnte Abrechnungen mit persönlichen Feinden kaufe ich in einer solchen Situation durchaus ab. Aber, dass innerhalb eines Tages jeder jeden schänden, zu Tode foltern und seinen Schädel als Trophäe nehmen will, kann man mir nicht andrehen. Teils macht Laymon Anstalten, es als Zivilisationskritik auszugeben, aber das scheitert schon daran, dass auch seine positiven Figuren, die ihre Moral immer wieder dadurch (und eigentlich NUR dadurch) beweisen dürfen, dass sie das, für die Besitzer nutzlose Eigentum Toter achten, bedenkliche Gestalten sind.
Sheila bleibt im Hintergrund und wir sehen sie nur durch die Augen des Perversen Stanley, der zwar angeblich voll und ganz auf sie fixiert ist, aber dennoch zwischendurch immer wieder abhaut, um woanders zu vergewaltigen. Laymon hatte wohl eine Quote zu erfüllen. Barbara währenddessen kriegt Zustände, wenn der Typ, den sie scharf findet, mit anderen weiblichen Überlebenden redet oder ihnen gar zulächelt. Den Creepynesspokal nimmt aber Clint mit, wenn er einer 13jährigen hilft, welche ihn, wie man mehrmals wiederholt, enorm an seine Tochter erinnert… und genau der Typ Mädchen ist, auf die er schon immer stand.
Es waren eben solche Ausfälle, die mich hoffen ließen, im dritten Akt würden wir erfahren, dass telepathische Impulse außerirdischer Yetis hinter allem steckten und auch unsere Helden nicht ganz unberührt davon blieben, aber nein: Die dargestellte Welt ist derartig mit Psychopathen überfüllt, dass Clint seine Tochter zurecht nicht allein auf die Straße lässt (war nicht auch Josef Fritzls Rechtfertigung so ähnlich?). In der Katastrophe sucht sie eine Mitfahrgelegenheit, doch jeder Mann ist ein Vergewaltiger und jede Frau hasst sie inbrünstig, weil sie zu attraktiv ist. So sind Männer bzw. Frauen nämlich.
Die Charakterisierung versagt also mal wieder an allen Ecken und Enden und auch die schmierige Lüsternheit der Erzählung, bei der selbst in Kämpfen und beim Bergen von Leichen stets detailliert beschrieben wird, wie das alles sich auf die Geschlechtsmerkmale der Beteiligten auswirkt. Ja, Nekrophilie gibt es auch wieder. Vergewaltigungen werden schön geschmackvoll aus der Täterperspektive geschildert und wenn jemand eine Pistole in den Hosenbund steckt, vergisst Laymon auch nicht zu erwähnen, welche Teile seiner Anatomie der Lauf dabei berührt. Was in den Köpfen der Figuren vorgeht ist zudem nie so wichtig, wie der aktuelle Stand, was ihre im Kampf zerfetzte Kleidung enthüllt. Wie also schon „Das Grab“ ist also auch „Das Inferno“ durch und durch unangenehm und das nicht auf eine Art, die Teil eines künstlerischen Konzeptes zu sein scheint.
Um anfangs erwähnte Jesusmäßigkeit zu unterstreichen, erwähne ich hier, dass das apokalyptische Szenario teils tatsächlich seine spannenden Momente hat und Laymon durchaus auch spannend Schreiben kann, so er mal die Hand aus der Hose lässt. Nur wann macht er das schon mal?
In einer Buchhandlung nahm ich letzte Woche übrigens mal auf Verdacht mal einen weiteren Roman des Autors zur Hand. Ich schlug ihn an einer blind gewählten Stelle auf und die ersten Worte, die mir ins Gesicht sprangen, waren „BH“, „Schweiß“ und „Brüste“. Kann Zufall gewesen sein! Vielleicht überhaupt nicht repräsentativ für das gesamte Werk, aber ich glaube, ich gönne mir, mein Urteil über Richard Laymon gefällt zu haben.