#ChangeTheCover – Die inhaltsunabhängige Skandalroutine
Es gab dieser Tage wieder einmal einen kleinen, tristen Skandal, der teils eine Art Sequel der #ComicGate-Nummer war, aber vor allem ein kleines Lehrstück ist, wie routiniert und völlig unberührt von Inhalten oder Tatsachen die sozialen Medien ihre Aufregung hinbekommen.
Im Rahmen eines Joker-Themenmonats schmückt der DC-Verlag derzeit alle seine Hefte mit alternativen Covern ihres beliebtesten Schurken, so auch bei der aktuellen „Batgirl“-Serie. Dort zeigte man die Heldin angsterfüllt und mit einer Träne im Auge in den Klauen des Jokers, der ihr mit dem Finger ein Grinsen ins Gesicht malt. – Eine Anspielung auf Alan Moores legendären Comic „The Killing Joke“ und ein wirklich gutes Horrorcover.
Nur ist „Batgirl“ kein Horrorcomic.
Ich gestehe gleich, die Serie nicht zu lesen (nach dem großen DC-Reboot habe ich eh völlig den Faden verloren), aber so ziemlich jeder sagt, dass es eine fröhliche, bunte und unschuldige Superheldenserie ist, die auf Spaß und Abenteur, nicht Schrecken setzt. Entsprechend missfiel das Cover vielen Leuten aus gutem Grund. Der aktuelle Autor der Serie (der eigentlich Ahnung davon haben müsste), schloss sich der Kritik an, so dass die Menschheit ohne große Aufregung und ohne Wertung des Werkes selbst beschloss, etwas passenderes zu finden.
Wer das jetzt eben geglaubt hat: Willkommen im Internet! Es wird dir hier nicht gefallen.
Nun neigt das Comicfandom schon länger zur Hysterie, aber dieser Tage, da sich #GamerGate von einem Skandal zu einer Institution entwickelt hat, wurde die Nummer natürlich gleich als Munition beider Seiten in diesem Krieg verwendet.
Es ist mir unmöglich, zu sagen, was nun zuerst kam. Es ist mir aber auch relativ egal – ebenso, wie es wohl auch den Kämpfenden letztlich egal sein dürfte. Doch irgendwann hieß es, das Problem des Covers sei es nicht unpassend, sondern sexistisch/misogyn/Vergewaltigung befürwortend zu sein und nun war es ein großer Kampf um Prinzipien. Leute, die nie Comics lasen verteidigten den Comic gegen den Willen seiner Macher bis aufs Blut, um den schlimmsten Fall von Zensur seit Galileo zu bekämpfen.
Dass auch der Künstler selbst das Cover schließlich zurückzog, sagt jetzt tatsächlich nichts mehr zur Sache, da es nun nicht mehr nachzuvollziehen ist, ob er es selbst als unpassend empfand, oder sich dem Skandal beugte. Aber Fakten sind hier ja schon längst nicht mehr so wichtig.
Das alles ist schade, weil es durchaus Potential für eine interessante Debatte hätte. Darüber, ob ein grimmiger, gefesselter Batman wirklich gleichrangig mit einem fassungslos schluchzenden Batgirl ist. Ob Oracle, die querschnittslähmte frühere Inkarnation Batgirls nicht eine viel stärkere Figur sei, als die gesunde. Darüber, wie unproblematisch Gewalt gegen Männer hingenommen wird, während solche gegen Frauen gleich zum Skandal wird. Darüber, dass links und rechts, liberal und konservativ gar nicht so klar abzugrenzen sind, wie viele Leute meinen. Darüber, wie wichtig Kontexte sind oder darüber, wie Rede- und Kunstfreiheit genau funktionieren.
Viel Potential für eine angeregte Unterhaltung. Aber die wollte niemand führen. Internetdrama war für alle Beteiligten verlockender.
Zusätzlich veranschaulichen diese Art Konflikte, wie irgendwann so ziemlich jeder Fanatiker zu dem wird, was er ursprünglich bekämpfte: Streiter für die Freiheit geben vor, was ein Künstler zu tun habe und die Kämpfer gegen das Bullying rotten sich zu Lynchmobs zusammen. Und beide Seiten halten sich natürlich für einen tapferen Underdog-David, für dessen Kampf gegen einen übermächtigen, die Gesellschaft beherrschenden Goliath jedes Mittel zulässig ist.
Man hat seinen routiniert erprobten Kampf, kann die jeweiligen Namen in seine alten Lückentexte einsetzen und bleibt gemütlich in der Komfortzone des eigenen Weltbildes. Ohne sich mit irgendetwas beschäftigen zu müssen weiß man nun wieder sicher, dass die Feministinnen die Weltherrschaft wollen, bzw. GamerGate ein Club von Frauenhassern ist.
Mann könnte natürlich daraus lernen, dass etwas Richtiges aus den falschen Gründen oder etwas Falsches aus den richtigen Gründen gewollt werden kann, die Gegenseite also nicht unbedingt nur aus böswilligen Monstern besteht, aber das ist eine Lehre, die niemanden interessiert, wenn er sich im Heiligen Krieg glaubt.
NACHTRAG: Mehrere Leute wiesen mich darauf hin, dass es ja nicht um das Cover eines regulären Heftes, sondern nur eine alternative Version für Sammler ginge und solche Cover recht häufig stilistisch vom Inhalt abweichen. Das ist vollkommen richtig und ich verstehe daher auch jeden, der das Cover deshalb als noch immer ausreichend passend erachtet. In der Sache selbst halte ich beide Ansichten vollkommen für zulässig, ich verwehre mich hier nur gegen die Moralisierung und zusätzliche ideologische Aufladung der Sache.
Links der Woche 12/15: Von literarischen Comics und fliegenden U-Booten | Comicgate
22. März 2015 @ 18:09
[…] #ChangeTheCover – Die inhaltsunabhängige Skandalroutine Der Buddelfisch, Dirk M. Jürgens Es gab letzte Woche mal wieder größere Netz-Aufregung um ein von DC angekündigtes Comic-Cover. Kurzfassung: Ausgabe 41 der Serie Batgirl sollte ein Variantcover von Rafael Albuquerque bekommen, auf dem die Titelheldin in der Gewalt des Joker zu sehen ist – eine Reminiszenz an Alan Moores Klassiker The Killing Joke aus dem Jahr 1988. Die aktuelle Batgirl-Reihe unterscheidet sich allerdings fundamental von Moores düsterem Comic: Das Kreativteam (Cameron Stewart, Babs Tarr, Brenden Fletcher) bemüht sich, eine poppige, moderne und zeitgemäße Serie zu machen, die eine jugendliche und nicht zuletzt auch weibliche Leserschaft anspricht. Eine Serie, in der Batgirl eines ganz gewiss nicht ist: ein Opfer. Das geplante Variantcover passte also hinten und vorne nicht zu dem frischen Ton und Stil, den die Serie derzeit hat, und entsprechend berechtigt war die Kritik daran, die sich in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #changethecover verbreitete. Weil das Internet aber das Internet ist, dauerte es nicht lange, bis sich eine ziemlich gehässige Gegenkampagne „Don‘t #changethecover“ formierte. Alles recht unerfreulich, aber mit einem vernünftigen vorläufigen Schlusspunkt: Zeichner Albuquerque bat den Verlag darum, sein Cover zurückzuziehen, was auch Stewart, Tarr und Fletcher unterstützten. DC folgt diesem Wunsch, das Heft wird nun also nicht mit diesem Variantcover erscheinen. Der hier verlinkte Artikel zeigt indes ganz gut die Mechanismen auf, nach denen solche erregten Online-Debatten funktionieren. Eine gute Zusammenfassung des Konflikts und dessen Hintergründe findet man auch bei vox.com. […]
sh
22. März 2015 @ 18:21
Ich bin vor einiger Zeit auf buddelfish gestoßen und dachte schon beim Lesen des Artikels zu Fifty Shades of Grey – dem einzigen mir bekannten, der sich mit der literarischen Qualität auch mal tatsächlich am Text auseinandersetzt – „dieser Blog entwickelt sich mehr und mehr zu einem der besseren Kultur/Kunstkritischen Blogs…
Auch dieser Artikel ist wieder ähnlich klug differenziert.
Dirk M. Jürgens
22. März 2015 @ 18:24
Danke, das hört man gern! ^^