„Evil – Das Böse“ von Jan Guillou
(1981. Dt. Ausgabe/Carl Hanser-Verlag) Jugenddrama
Was mich genau dazu brachte, das Buch zu lesen, kann ich nicht mehr genau sagen. Als es verfilmt wurde, las ich im SPIEGEL eine kurze Rezension aus der ich allerdings nur schloss, es sei eines dieser tristen „Die Welt ist schlimm und die Gesellschaft auch und Hoffnung gibt es nicht, aber eigentlich sind doch alle arme Schweine“-Bücher, das uns erzählen will, dass Täter auch nur Opfer sind. – Doch damit lag ich absolut daneben.
Natürlich ist die dargestellte Welt äußerst düster, doch statt menschelnder Resignation oder blauäugigem Idealismus hat es eine bewegende, kämpferische Haltung, die auch nicht vor extremen Aussagen zurückschreckt und den Mut hat, offen zu verurteilen und zu verdammen.
Statt eines Jugenddramas, erzählt es in erster Linie von Zivilcourage und Standhaftigkeit.
Sein Held, der Anfangs vierzehnjährige Erik wurde von seinem sadistischen Vater sein Leben lang misshandelt, von seinen Freunden verraten und nur wegen seiner Härte respektiert. Als er auf eine neue Schule kommt, will er eigentlich alles anders machen, doch er gerät in ein System aus Unterdrückung und Demütigung, in dem die jüngeren Schüler von den Älteren mit pseudodemokratischen Regeln und offener Gewalt gequält werden – alles unter den Augen der Lehrer, da die Schüler so ja lernen sollen, wie es in der Welt zugeht.
Erik hat aber nicht vor, sich je wieder unterzuordnen und nimmt den Kampf gegen das System auf; er sucht nach Lücken, um die Autorität der Peiniger zu untergraben und beginnt die Schwächen des Apparates zu suchen.
Das ungewöhnliche dabei ist, dass Guillou auch nicht davor zurückschreckt, offen Gut und Böse zu zeigen und auch physische Gewalt als angemessenes Werkzeug zur Bekämpfung des letzterem anzuerkennen. In eingeschobenen Argumentationspassagen diskutieren Erik und sein Freund Pierre die Angelegenheit und unterscheiden so das bloße „Böse durch die Umstände“, welchem Auszuweichen völlig ausreichend ist, vom „wahren Bösen“, wie es in Gestalt des Schülerrates oder Eriks Vater präsent ist – hier kommt es nicht darauf an, sich zu schützen, hier ist es die Pflicht eines jeden Menschen, der die Mittel hat, es zu vernichten.
Und Erik hat die Mittel.
Wie ich hörte, gilt „Evil“ in Schweden als Jugendbuch und wird sogar an Schulen gelesen. Ob ich das für sinnvoll halte, weiß ich nicht. Nicht nur dass die Gewaltdarstellungen recht ausführlich sind, auch halte ich es für möglich, dass manchem Leser die Zusammenhänge entgehen könnten und er lediglich ein „Gewalt ist gut“-Fazit daraus zieht. Andererseits ist es ein wunderbares, flammendes, wenn auch öfters nahezu quälendes Manifest für eine wehrhafte Demokratie und Zivilcourage. Es macht wütend und wirkt zugleich befreiend, da es Probleme nicht nur darstellt, sondern sie auch löst.
Ich kann also mein Vorurteil vollkommen revidieren und möchte gar so weit gehen, es in eine Reihe mit „Clockwork Orange“ und „Der Fänger im Roggen“ stellen, denen gegenüber es natürlich offener und unverschnörkelter sein Thema behandelt, denen es an Erzählkraft, Gefühl und Energie jedoch um nichts nachsteht.
(Dirk M. Jürgens)