„Die Schatzinsel“
„Die Schatzinsel“ oder Als die 68er Stevenson kaperten
(2007) von Hansjörg Thurn (TV-Zweiteiler)
Da ich schon hier zu Anfang mein Missfallen verraten will, halte ich mich bei den positiven Aspekten kurz und knapp: Ausstattung ist schick, Effekte toll, Musik gut und für einen Familien-Abenteuerfilm ist es erstaunlich blutig. Auch die Idee, den irren Ben Gunn als eine Art Predator mit lauter Fallen im Dschungel darzustellen, gefiel mir äußerst gut und ich konnte selbst Christian Tramitz ernst nehmen.
Aber…ein paar gewaltige Probleme fressen alles positive wieder auf:
– Tobias Moretti IST NICHT Long John Silver. Ist er einfach nicht. Da kann er noch so viel theatralisch überzogen den Kasperletheater-Piraten spielen (und damit die Frage aufwerfen, wie irgendjemand ihn nicht sofort als Schurken erkannt hat), schon seine gigantischen strahlendweißen Zähne und sein sauberer, haar- und narbenloser Oberkörper, der an einer Stelle grundlos enthüllt wird (Grüße vom Regietheater?) machen ihn schon einfach rein physisch unpassend. Warum hat man nicht dem mitspielenden Vogel die Rolle gegeben? Der wäre optimal gewesen!
– Die reingequetschte Frauenrolle füllt die Sparte „Mädchen, das sich als Junge verkleidet“… nur leider ohne jegliches Indiz für Maskulinität so unüberzeugend, dass Lilo Pulver im „Wirtshaus im Spessart“ (und das war eine Komödie) dagegen der reinste Eastwood war. Abgesehen davon ist die „Du blöder Kerl, jetzt rettest du mich zweimal vor dem Tod und achtmal vor Massenvergewaltigung, jetzt mach endlich, was ich will!“-Trulla so etwas von hammerunsympathisch, dass der nach ihr äugende Held wie der hinterletzte Trottel erscheint. Das passt, denn ein weiteres Problem ist…
– … dass der Held wie der hinterletzte Trottel erscheint! Seine lächerlichen unsagbaren Texte lassen auch den Schauspieler (den ich deshalb nicht beurteilen kann) auf unterstes Schülertheaterniveau absacken. Überhaupt ist der Film an vielen Stellen derartig überzogen, wie es heute selbst in Parodien schal wirken würde.
– Statt „Die Schatzinsel“ zu verfilmen, wollte man lieber ein Stück vom „Fluch der Karibik“-Kuchen, weshalb man aus der Anti-Piraterie-Story einen Pro-Piraterie-Film machte, der die ganze Zeit von „Freiheit“ und „Unterdrückung durch den Adel“ seiert und dabei völlig verschweigt, was Piraten denn eigentlich so treiben. Am Ende schlägt unser Held sogar Tramitz nieder, weil er den Massenmörder Silver an der Flucht hindern will… ja, unser Mr. Hawkins wird nämlich auch Pirat. Der nette Doktor der Vorlage wird hier zum geldgierigen, fanatischen, mutterfickenden (okay, nicht seine eigene) Unsympathen gemacht, wohl, weil er „zum Establishment“ gehört.
Den Schatz hat man auch zu Inka-Gold umgewandelt, was aber nie kommentiert wird.
– Der Regisseur hält „Schauspielführung“ für eine Umschreibung für „Lass die Typen einander angrabbeln“. JEDER fasst STÄNDIG jeden an. „He, wer ist dass denn?“ *Arm um Schulter leg* – „Das ist Mr. Hands, mit dem solltest du dich besser nicht anlegen.“ *Bauch tätschel* – „Hey, tratscht ihr über mich? Seht euch besser vor!“ *Gesicht mit der Hand pack und Nase aneinander reib* usw. usf.
– Die Brecht’sche Herangehensweise gipfelt dann in einem hirnzerfressenden Ende, welches nun gar nichts mehr mit dem Buch zu tun hat: Der Schatz versinkt im Sumpf und von Gier übermannt springt der Doktor hinterher, um es ertrinkend an sich zu raffen, anstatt nach den zu seiner Rettung ausgestreckten Händen zu greifen. Moretti hält dann einen großen Theatermonolog à la „Seht in an! Dort geht er hin, der Mensch, mit seinem Gold. Auf dass er der reichste Mann dort unten sei!“. Irgendwie konnte ich mir die Autoren nur als Haufen Ulrike Meinhofs vorstellen, die hinter ihren Sonnenbrillen nuscheln, dass es irgendwie „voll faschistoid“ wäre, einen Schatz zu heben.
Was immer der Film besonders zu Anfang an gutem haben mag, im Laufe der Zeit macht er es durch seine Kaspereien, seine „Fluch der Karibik“-Anleihen und hirnschissige Autorenfilmelemente kaputt.
(Dirk M. Jürgens)