„Antichrist“
„Antichrist“ oder Wenn Kunst krank macht
(2009) von Lars von Trier
Man hört einiges über den neusten Film des Dogma 95-Gründungsmitgliedes Lars von Trier, das kaum glaublich erscheint. Davon ist jedoch erschreckend viel wahr: Mit „Antichrist“ hat der mit „Dogville“ und „Manderlay“ noch kühl analysierende von Trier seinen fühlbarsten, extremsten Film geschaffen, ja vielleicht sogar einen der fühlbarsten und extremsten Filme überhaupt.
Die Handlung dürfte so simpel wie bekannt sein (nach dem Unfalltod seines Kindes zieht sich ein Ehepaar in eine Waldhütte zurück, wo der Mann seine Frau nach dem Schock therapieren will, doch legt er Verhängnisvolles frei), ebenso die Verstümmelungen, welche die von Charlotte Gainsbourgh gespielte Frau am Ende ihrem, von Willem Dafoe verkörperten Mann und sich selbst antut. Diese sind natürlich so hart und grässlich, wie vom schonungslosen Regisseur erwartet, haben den Verfasser dieser Zeilen tatsächlich den Blick abwenden lassen, doch das ist an sich kein großes Kunststück – genitale Verletzungen sind ein simples Schockmittel und auch in schlechteren Filmen schon effektiv genutzt worden.
Doch es sind nicht diese einfachen, lauten Oberflächlichkeiten, aus denen der Film seine unglaubliche Härte schöpft. Nach dem traumhaft schönen, mit Händel-Klängen unterlegten Anfang, verkehrt sich die dargestellte Welt bald in ein verlorenes, apokalyptisches Universum von Krankheit, Wahnsinn und Verwesung, wie es die Kapitelüberschriften „Trauer“, „Schmerz“ und „Verzweiflung“ illustrieren. Mit irrationaler Geräuschuntermalung und verzerrten Kameraeffekten wird eine durchgängige Atmosphäre von Bedrohung und Hoffnungslosigkeit geschaffen. Kein Film, der vom Teufel erzählt, ein Film, der ihn fühlbar macht. Auch Ideale oder hehre Gegenbilder gibt es nicht: Ist die therapeutische Arbeit des Mannes von Anfang an von Machtlust, Größenwahn und Gefühllosigkeit geprägt, so klagt der Film dies später nicht etwa an, sondern verfällt in eine archaische, mittelalterliche Frauenfeindlichkeit, welche viele Rezensenten klein zu reden oder gar in ihr Gegenteil zu verkehren versucht. Ich halte sie jedoch für ungebrochen.
„Die Natur ist die Kirche Satans“, so erfahren wir. Die nächste Erkenntnis ist, dass die Natur in der Frau stark ist. Der logische Schluss des Films daraus ist, dass der Mann sich vor der Frau hüten, sie sich Untertan machen und sie gegebenenfalls eben verbrennen muss. Der Hexenwahn war nach dieser Lesart kein Wahn, sondern der Triumph des richtigen, männlichen Prinzips, durch den der Weg zu Fortschritt, Zivilisation, Wohlstand und der notwendigen Entfremdung von der verdorbenen Natur beschritten werden konnte. Von dieser Aussage natürlich verschreckt (man mag keinen Film loben, der derartiges aussagt), wird oftmals versucht, diese Ansichten lediglich als die Dafoes’ Figur und damit ironisch gebrochen zu sehen. Manche wollen gar erkennen, dass es der verborgene Sexismus des Mannes ist, der allein zur Katastrophe führt, also angeklagt wird, übersehen dabei aber die Erkenntnisse, die über den letzten Aufenthalt der wohl noch nicht so liebenden Mutter in der Hütte gewonnen werden, die ihn höchstens als Katalysator für bereits vorhandene Schlechtigkeit der Frau zeigen.
Dass beide Figuren Wissenschaftler sind (er Psychiater, sie Anthropologin, also beides „Menschenforscher“) dürfte ebenso wenig Zufall sein, wie ihre Namenlosigkeit – es sind DER Mann und DIE Frau, die in einer Hütte mit dem ebenso bedeutungsvollen Namen „Eden“ den Untergang der Menschheit begehen, und gewissermaßen den Sündenfall zu seinem konsequenten Ende führen. Es sind die Ratio, die Menschlichkeit und die Geschlechterverständigung selbst, die hier scheitern. Auch sonst fordern wenige Filme so deutlich zu einer Analyse auf, wie dieser mit seinen reichhaltig verstreuten Elemente aus Märchen, Sage, Psychologie, Mythos und Religion, oder die klare, raumsemantische Teilung von Kultur und gefährlicher Natur. Gleich am Anfang stürzt das Kind, nach dem Durchleben der Freudschen Urszene aus dem sicheren Menschenraum der Wohnung aus dem Fenster in die ungebändigte Natur einer verschneiten Nacht heraus, so führt schon der Zoom auf das trübe Wasser einer Blumenvase in eine schmutzig, hässliche Unterwasserwelt, statt auf die vollen Blüten weiter oben. So gestattet der Film Dafoe und dem Zuschauer einen kurzen faszinierten Blick auf die natürliche Anmut eines Rehs, zerstört dieses Aufflackern von Schönheit jedoch sofort wieder radikal, wenn er enthüllt, dass dem Tier die Leiche seines halbgeborenen Nachwuchses aus dem Leib hängt.
In seinem lesenswerten Artikel auf der Website der ZEIT stellt Daniel Kehlmann den Film als direktes Gegenstück zu Tarantinos „Inglorious Basterds“ dar – während jener unbekümmert und spielfreudig ein denkbar ernstes Thema behandelt, nimmt von Trier den Stoff eines simplen B-Horrorfilms, um auf dieser Grundlage ein existenzielles Menschheitsdrama zu errichten. Ich hingegen würde eher „Avatar“ als den exakten Antipoden zu „Antichrist“ sehen: So sind zwar beide technisch perfekt und stilistisch ausgefeilt, doch während Camerons Monumentalfilm die paradiesische Naturwelt einer gütigen (weiblichen) Muttergöttin feiert, sind sowohl Natur als auch Weiblichkeit in von Triers Zweipersonenstück so negativ wie nur möglich besetzt, es herrscht Untergang statt Entstehung, es soll weg- statt hingesehen werden. Es wird kolportiert, dass es immer wieder zu Depressionserkrankungen komme, ausgelöst vom Wunsch, lieber auf Pandora statt unserer tristen Erde zu leben, „Antichrist“ hingegen, so heißt es, sei nicht Ursache, sondern Folge der Depressionen seines Machers. Schönheit und Bombast auf der einen, Kargheit und Trostlosigkeit auf der anderen Seite, beides auf seinem jeweiligen Gebiet perfekt und praktisch unübertrefflich und verbunden durch eine Skepsis gegenüber der Menschheit.
Der zeitgenössische Film scheint seinen Himmel und seine Hölle gefunden zu haben.
(Dirk M. Jürgens)
#17 Vom Ende der Welt bis zum Tod der Komik | Weird Fiction
22. Januar 2012 @ 17:37
[…] Teil nicht schlecht ist. Stilistisch knüpft “Melancholia” ganz stark an den Vorgänger “Antichrist” an (wird das vielleicht wieder mal eine Trilogie?), nur wo der eben auf Hässlichkeit und Krankheit […]