Indiereview: „Hurray. Hurray Le Quiche!“ von Johannes Lott
Moin liebe Leser,
scheinbar weicht mein Entschluss, keine Reviews zu schreiben, auf, wie ein Schokoladenkeks in warmer Milch: wenig dramatisch, gemütlich und deliziös. Aber so bin ich eben. Rock and Roll. Womit wir beim heutigen Thema wären: Jo Lotts neuer Musikcomic „Hurray, Hurray Le Quiche!“.
Indiecomics zu lesen ist ja oft auch in gewisser Weise ein Genuss. Da ich ja selbst ab und zu den Zeichenstift in die Hand nehme und in die Tasten haue, bietet die Lektüre von Indiecomics nicht in erster Linie nur Unterhaltung, sondern auch Inspiration. Auf der anderen Seite sollte eine Besprechung aber eben nicht nur Empfehlung sondern auch ein wenig Kritik sein – und ein Lesezeichen an mich selbst, wo man die eine oder andere Story noch hätte polieren können. Ich darf meinen Lesern an dieser Stelle versichern, dass es viele Künstler tatsächlich nach einer konstruktiven Rezension dürstet und so kam es dann auch, dass mir Jo Lott, Comiczeichner aus Hamburg, seine neueste Veröffentlichung zusandte – zusammen mit reichlich „Swag“, wohl um mich gefügig zu machen. Super Idee!
Musikcomics sind ja im Zuge der GraNo-Welle (aus Marketing Gründen wird man in Buchläden mit dem Wort Graphic-Novel belästigt, der mittels eines Aufklebers auf Comics verdeutlichen soll, dass man mit den gesalzenen Preisen nahezu schwindelerregend schöpfungshohe Bildgeschichten erwirbt) ganz besonders beliebt. Wer in den Sechzigern mal im Supermarkt Ringo Starr getroffen hat, der darf im Prinzip sofort publizieren, wenn die Geschichte rauchende Menschen in Unterwäsche enthält, ein paar Establishing Shots, die man schön von alten Postkarten abgemalt hat und am Ende dann ein bisschen Fuzzy Feelings und So-War-Das-Damals. Das mag das Feuilleton. Vielleicht gibt es auch bald Feuilleton-Comics. Comics über Journalisten, die mal über Musikcomics geschrieben haben, die selber auch auf Festivals gehen und in Unterwäsche rauchen und am Ende dann ein bisschen Fuzzy Feelings und So-War-Das-Damals-Als-Ich-Noch-Musikcomics-Fürs-Feuilleton-Rezensiert-Hab.
Ach, jetzt weiss ich wieder, warum ich keine Reviews mehr schreiben wollte. Ich bin doch so furchtbar verbittert und wollte niemanden auf die Füße treten!
Also, alles zurück auf Null und erst einmal ganz klar vorab:
„Hurray, Hurray Le Quiche!“ ist ein wunderbarer Comic. In lockerem, skizzenhaftem Strich und nahezu gehauchter Dramaturgie erzählt er vom einzigen und letzten Konzert der titelgebenden Band.
Hugo, extrovertierter Sänger der Kombo, ist nichts wichtiger als seine Musik. Für ihn ist sie die Chance, aus dem tristen Alltag des letzten Schuljahres auszubrechen. Neben der Musik kennt er nur Zukunftsangst und das Leben mit seinem gewalttätigen Vater. „Roadie“ Bonzo ist da ganz anders veranlagt: schüchtern, wenig schlagfertig und obendrein unmusikalisch träumt er davon, seine Gitarre zu beherrschen, damit er nicht nur Kumpel und Fahrer der Band sein darf, sondern ein bisschen wie Hugo sein kann. Und das liegt wohl auch daran, dass er ziemlich in Hugos Freundin Melli verschossen ist.
Johannes Lott nimmt sich seiner Figuren mit Fingerspitzengefühl an, fängt Alltägliches in seinem ganz eigenen, cartoonesquem Stil ein, der zwar skizzenhaft bleibt, aber im Kopf des geübten Lesers die Dynamik eines animierten Films entfaltet, den es in Deutschland natürlich gar nicht gibt, aber sollte (im Gegensatz zu GraNo-Stickern). Überhaupt entfaltet sich der Plot mittels sehr filmischer Perspektivenwechsel und Beats. Und dafür, dass Lott ein stummes Medium nutzt, um eine Geschichte zu erzählen, in der es um Musik geht und darüber hinaus sogar auf erzählende Texte verzichtet, gelingt es ihm trefflich, eine eigene Stimmung zu erzeugen.
Es ist aber auch diese Reduktion, die vielleicht einer meiner wenigen Kritikpunkte ausmacht. Alle Figuren, die für das Liebesdreieck wichtig sind, sind gezeigt und benannt. Nur zwei dieser Figuren, nämlich Hugo und Bonzo haben eine Backstory. Ich musste noch einmal die Geschichte aufmerksam durchblättern, um überhaupt einen weiteren Namen zu finden. Das bedeutet unterm Strich, dass ich nach dem Lesen des Comics das Cover betrachte, und nur zwei Figuren der Vier-Mann-Kombo auf dem Cover wirklich kenne. Leider wird meine Neugier da nicht ganz befriedigt und ich frage mich natürlich, ob das eine bewusste Entscheidung war, ob gar am Skript gekürzt wurde. So bleibt mein Eindruck in jedem Fall, dass sie sich gerne hätte noch etwas organischer hätte entfalten dürfen. Warum ist Bonzo im Melli verliebt? Was sieht Melli in Hugo?
Vielleicht ist hier aber auch bewusst fragmentarisch erzählt worden. Im Laufe eines Jahrzehnts verblasst die Erinnerung an das letzten Schuljahr und die Nacht des letzten Konzerts von „Hurray, Hurray Le Quiche!“, nur die Geschichten, die man darüber erzählt, bleiben. Und so fühlt sich auch der geneigte Leser nostalgisch an die eigene Vergangenheit erinnert – mit einem Ohrwurm von „Hurray, Hurray Le Quiche!“.
Andererseits reicht manchmal auch ein Pin-up der Band mit Namensetiketten, um kleineren Blackouts im Storytelling unter die Arme zu greifen. Bis dahin versuche ich weiter, irgendwo die geheimnisvolle, von Johannes Lott angenehm handgeletterte Sprechblase zu finden, in der sich der Name der vierten Person auf dem Cover versteckt… Hugo, Bonzo, Malte und… Ringo?
FAZIT: Skizziert und unbeschwert wie ein Singer-Songwriter-Lied, grob und schrammelig wie eine Punk-Impro in der WG-Küche: „Hurray, Hurray Le Quiche!“ setzt auf Vertrautes, braucht aber auch nicht mehr als seine vier Akkorde, um uns an Erinnerungen an eine Band schwelgen zu lassen, die wir nie kannten, und die es trotzdem eines Sommers gab.
Oder um den zeitlosen Film „The Commitments“ zu zitieren:
You’re missin‘ the point. The success of the band was irrelevant – you raised their expectations of life, you lifted their horizons. Sure we could have been famous and made albums and stuff, but that would have been predictable. This way it’s poetry.
Johannes Lott: Hurray Hurray Le Quiche!
84 SW-Seiten, 14,- Euro, jaja, ISBN 978-3-946642-23-7
offizielle Website des superben Jaja-Verlages
offizielle Website des formidablen Johannes Lott
Und der Comic ist natürlich auch Amazon.de erhältlich