Sex, Macht, Angst: „Fifty Shades of Grey“ als Buch und Film
Kollege Dirk M. Jürgens hat in seinem Artikel E. L. James‘ angebliches Skandalbuch zu grossen Teilen abgehandelt, was Inhalt, Stil oder Geschlechzeugs anbelangt. Ich möchte darüber hinaus ein paar Worte zur Verfilmung sagen, in erster Linie aber ein grundsätzliches Missverständnis ansprechen.
Von Irrtümern und Geplänkel
Es herrscht nämlich der weitverbreitete Irrtum vor, dass „Fifty Shades of Grey“ ein verruchtes Buch sei. Dass es sich dabei um Sadomaso-Porno handle. Doch fängt man an zu lesen, muss man sich erst durch eine unerträgliche Menge an plattem Liebesgeplänkel kämpfen.
Unsere Turteltauben begegnen sich das erste Mal, als die Studentin Anastasia Steele für ihre Freundin ein Interview mit dem stinkreichen, aber blutjungen Firmenbesitzer Christian Grey macht. Er gehört zu den Gönnern ihrer Uni, das Interview soll in der Unizeitung erscheinen.
Anastasia ist nervös und tollpatschig (als sie sein Büro betritt, stolpert sie über die Türschwelle). Christian hingegen ist der geilste Typ des Universums – Anastasia (die nie zuvor einen Mann begehrte) ist von seinem Äusseren sofort hin und weg und kann ihm kaum zur Begrüssung die Hand schütteln, ohne auf der Stelle einen Orgasmus zu kriegen: „As our fingers touch, I feel an odd exhilarating shiver run through me.“ (S. 8).
Diese übernatürliche Anziehungskraft Greys zieht sich durchs ganze Buch und verrät den Ursprung des Machwerks als „Twilight“-Fanfiction: Führt man sich vor Augen, dass der Junggeselle ursprünglich ein Vampir war, macht Anastasias unfreiwillig komische Schwärmerei plötzlich Sinn.
Aber sobald die vampirische Übernatürlichkeit wegfällt, entlarvt sich auch die wahre Faszination an Grey: Gutes Aussehen und Geld. Anastasia begehrt weder ihren Arbeitskollegen noch ihren Fotografen-Kumpel, da sie normale Menschen sind. Grey aber, die übernatürliche Personifizierung von gutem Aussehen und Geld, triggert die Weiblichkeit der Totaljungfrau (zu ihrer Totaljungfräulichkeit gleich mehr).
Später kommt das Element des Geheimnisses hinzu: Wie man weiss, hat Grey eine Vorliebe fürs harte Ficken und fürs Peitschen, was originallerweise auf eine schwere Kindheit zurückzuführen ist: Anastasia kommt im Laufe der Handlung dahinter, dass Grey Sohn einer Crackhure ist und als Teenager von einer älteren Frau sexuell ausgebeutet wurde. (Wir lernen: Die Vorliebe für Sadomaso basiert auf psychischen Störungen.)
Soweit, so langweilig: Christian Grey umfasst alles, was frau toll findet: Gutes Aussehen, Macht und Geheimnis. Darüber hinaus hat er keinen Charakter. Er ist kein Protagonist, sondern eine Masturbationsvorlage. Vollkommen uninteressant.
Anastasia ist, wie gesagt, eine Totaljungfrau: Sie hatte noch nie einen Mann begehrt, hatte noch nie Sex, noch nie geküsst, noch nie Händchen gehalten. Sie hat nicht einmal masturbiert. Sie weiss nicht, was Vanilla-Sex oder Sex-Träume sind. Ana ist keine Protagonistin, sie ist eine Topfpflanze. Und vollkommen uninteressant.
Nach der erwähnten ersten Begegnung zeigt nun die Masturbationsvorlage ein immenses Interesse an der Topfpflanze. Grey besucht Ana bei der Arbeit, lädt sie zum Kaffee ein, kauft ihr teure Erstausgaben ihrer Lieblingsbücher. Anastasia wiederum macht Christian zum Zentrum ihres Lebens, zum vordergründigsten Objekt ihrer langfädigen inneren Monologe (denn wenn eine Frau die Aufmerksamkeit eines Mannes erfolgreich für sich geweckt hat, hat sich ihr Lebenszweck erfüllt).
So tanzt es eine ganze Weile hin und her zwischen diesen beiden zutiefst uninteressanten Pappkameraden. Was die beiden über Oberflächlichkeiten hinaus füreinander interessiert, bleibt ein Rätsel.
Prosa des Grauens
Man kann sich gar nicht vorstellen, ohne das Buch selbst gelesen zu haben, was für eine miserable Schriftstellerin E. L. James ist. Ihre Prosa ist ein Paradebeispiel an Langeweile und Geistlosigkeit.
E. L. James‘ Prosa ist langweilig, weil sie jede Kleinigkeit wiederholt und wiederholt und wiederholt. Wörter und Ausdrücke wie „I flush“, „sexy“, „hot“, „beautiful“, „holy shit“, „holy crap“, „holy hell“ und vor allem „oh my“ repetiert sie bis zum Erbrechen. Und jedes Mal, wenn irgend etwas passiert, denkt Anastasia anschliessend lang und breit darüber nach, was gerade passiert ist.
Allerdings, „darüber nachdenken“ trifft es nicht: Sie wiederholt in ihrem Kopf, was gerade passiert ist. Hier gibt es keine Reflexion, nur das hallende Echo zwischen den Ohren der Protagonistin.
Der Schreibstil des Buches ist nicht zuletzt so unerträglich, weil hier eine fast 50-jährige, versucht, die Sprache einer Mittezwanzigerin zu simulieren (darum die vielen „holy hells“).
E. L. James‘ Prosa ist geistlos, weil E. L. James keinen einzigen interessanten oder überraschenden Gedanken aufbringt, weil ihr Stil farblos und monoton ist. Anastasia und Grey reden viel über Sex und Liebe, manchmal auch über englische Literatur, aber sie haben sich nie was Interessantes zu sagen. Und was sie sich zu sagen haben, sagen sie mit seichten Worten.
E. L. James fällt nichts ein zu Sex oder Liebe oder zu irgendetwas sonst; ihre Gedankentiefe ist ebenso flach wie ihr Wortschatz. Dieses Buch ist ein Blick in den Abgrund eines leeren Schädels, ein Blick in die Geisteswelt einer geistlosen Autorin. (Und ganz nebenbei: Es braucht einen ebenso geistlosen Hohlschädel, um sich davon unterhalten zu lassen.)
Sex zum Gähnen
Das ganze Ausmass von E. L. James‘ Anti-Stil wird offenbar, wenn es nach zähen 111 Seiten endlich, endlich zum ersten Mal kommt:
„You’re very beautiful, Anastasia Steele. I can’t wait to be inside you.“
Holy Shit. His words. He’s so seductive. He takes my breath away (S. 114).
Christian Grey, der zutiefst faszinierende Übermensch, der attraktivste Mannesmann in der Geschichte der Evolution, bedient sich in der Liebe der Sprache eines dumpfen Mundatmers. Und weil Anastasia ebenso eine dumpfe Mundatmerin ist, findet sie’s geil.
E. L. James ist völlig unfähig, für ihre Figuren erotische Worte zu finden. Sie muss die Erotik explizit behaupten, bei gleichzeitiger Offensichtlichkeit der Abwesenheit aller Erotik. Sie muss ständig sich ständig solcher Ausdrücke wie „He’s hot“ oder „It’s so hot“ bedienen, weil sie ausser Stande ist, etwas so zu beschreiben, dass es für sich alleine „hot“ wäre.
Die Sexszenen, Zentrum und Hauptsache des Buches, sind dann auch konsequent abgedroschen und gänzlich ohne die behauptete Sinnlichkeit:
Standing in front of me again, he hooks his fingers into my panties and, at a most unhurried pace, peels them down my legs, stripping me agonizingly slowly, so that he ends up kneeling in front of me. Not taking his eyes off mine, he scrunches my panties in his hand, holds dem up to his nose, and inhales deeply. Holy fuck. Did he just do that?
[…]
He thrusts again and again, his face at my neck, his harsh breathing at my throat. I feel the build up again. Jeez, no … not again … I don’t think my body will withstand another Earth-shattering moment. But I have no choice … and with an inevitability that’s becoming familiar, I let go and come again, and it’s sweet and agonizing and intense. I lose all sense of self. (S. 322-325).
Ein müdes und repetitives Aufzählen von Bewegungsvorgängen, das mitunter in Pseudo-Jugendsprache und albernen Kitsch umschlägt.
I let go, losing all cogent thoughts as my orgasm seizes me, wringing my insides again and again. Holy fuck. I cry out, and the world dips and disapperas from view as the force of my climax renders everything null and void. (S. 142)
Auf den saftigen Sadomasochismus, den man sich verspricht, wartet man vergebens: Grey verbindet mitunter Anas Hände mit einer Krawatte oder setzt Peitschen und Liebeskugeln ein, aber das ist alles sehr harmlos. Am heftigsten sind die paar Schläge mit dem Gürtel, die Ana am Ende dazu veranlassen, Grey den Laufpass zu geben (vorläufig).
Die Harmlosigkeit der Sexspiele ist von Anfang an vertraglich festgelegt: Grey setzt Anastasia einen säuberlich verfassten Standard-Kontrakt vor. Darin ist das Verhältnis von „Dominant“ und „Submissive“ ebenso geregelt wie die „soft limits“ und „hard limits“. Dafür, dass Grey „fifty shades of fucked up“ (S. 269) ist, reicht sein Sadismus nicht sonderlich weit; alles, was ansatzweise gefährlich sein könnte, verbittet er von sich aus: “No acts that will leave any permanent marks on the skin.“ (S. 108).
Da ist es durchaus unerlässlich, dass Ana eine Totaljungfrau ist: Ansonsten wäre es kaum zu erklären, weshalb sie dieses harmlose Sadomaso derart schockiert.
Aber darum geht es ja gerade: Das Buch soll die Leserschaft mit dem Versprechen von Verruchtheit locken, ohne sie dann mit echter Verruchtheit abzuschrecken. „Fifty Shades of Grey“ ist ein unglaublich feiges Buch.
Aber nicht nur der Sadomaso ist in seiner Schilderung konsequent harmlos: Jede Form von Sex, die E. L. James beschreibt, ist zahm. Ihr Sex ist bisslos und keimfrei, ein Sex ohne Schweiss oder Sperma, ein Sex ohne Gerüche. „Fifty Shades of Grey“ ist ein Porno ohne Saft. Ein Porno für Leute, denen Sex Angst macht.
Saftloser Hochglanz
Der Film nun, der seit Donnerstag im Kino läuft, hat gegenüber der Vorlage zwei Vorteile: Er rafft die Handlung zusammen und lässt die schauderhafte Prosa von E. L. James fallen.
Ansonsten potenziert er die Harmlosigkeit des Buches: War schon der Sex im Roman ohne Saft, so verkommt er im Film endgültig zu sterilen Hochglanzbildern. Wie ich schon in meiner Filmkritik schrieb: „Fifty Shades of Grey“ ist Sadomaso für Kindergärtner.
Wo E. L. James immerhin (wenn auch uninspiriert) über anatomische Details schreibt, traut der Film dem Publikum kein Schamhaar zu. Stattdessen rutschen digital nachbearbeitete Plastikkörper leidenschaftslos aufeinander herum.
Jenseits der stubenreinen Sexszenen fällt mehr als je zuvor auf, wie oberflächlich die zugrunde liegende Liebesgeschichte ist. Die gegenseitige Anziehung, die sich entwickelnde Beziehung ist (mehr noch als im Buch) stets behauptet statt nachvollziehbar. Und nicht einmal die platt beschriebene Attraktivität von Grey hat sich hinüberretten können, denn Jamie Dornan besitzt nicht das nötige Charisma, um Christian Grey zu sein. Dornan ist mit seinem dümmlichen Blick und der Pudelfrisur ein armseliges Würstchen; jedes Mal, wenn Anastasia (Dakota Johnson) von ihm schwärmt, verkneift man sich ein Lachen.
Aber endlich passt sein Aussehen zu seinen Anmachsprüchen: „I don’t make love. I fuck. Hard.“
Dornan wirkt wie ein kleiner Junge, der versucht, Clark Gable nachzumachen. Man kann ihn nicht ernst nehmen.
Apropos Lachen: Waren im Buch E. L. James‘ Formulierungen unfreiwillig komisch, so sind es im Film die kitschigen Bilder. Da sitzt zum Beispiel Grey nackt am Klavier und spielt klassische Musik, im Hintergrund die Fensterfront mit Ausblick auf die urbane Skyline. Anastasia tritt ein, mit der Bettdecke über den Schultern. Was romantisch oder sexy sein soll, mutiert in seiner schieren Plumpheit zur unabsichtlichen Parodie.
Grüne Ohren
Von den miserablen Dialogen über die sterilen Sexszenen bis hin zur unfreiwilligen Komik des sinnlich Gemeinten: Was „Fifty Shades of Grey“, Buch wie Film, so armselig macht, ist die tiefgreifende Unreife, die das Werk durchzieht. Es mangelt an Sprache und Geist, es mangelt an Ideen jenseits plumper Klischees.
Buch wie Film versuchen verzweifelt, sexy und romantisch zu sein, haben aber keine Vorstellungen von Liebe und Sex, die über die Vorstellungen eines Kindergärtners hinaus gehen würden. Ein Kindergärtner käme vielleicht auf die Idee, dass diese Sprüche verführerisch sind, dass diese Klischees einfallsreich sind und dass diese sterilen Sexszenen geil sind.
Aber grade wenn es um Liebe und Sex geht, ist eines wichtiger als alles andere: Verdammt nochmal erwachsen zu werden.
Fifty Shades of Grey von E. L. James. Arrow Books, 2012
Fifty Shades of Grey von Sam Taylor-Johnson. Focus Features et al., 2015
Kinorückschau 2015: Der Auswurf | kulturmutant
1. Januar 2016 @ 7:20
[…] The Longest Ride (Kein Ort ohne Dich) Ich habe lange überlegt, ob ich hier nicht besser 50 Shades of Grey anführen sollte – aber erstens wäre das viel zu vorhersehbar und zweitens erscheint E.L. James […]
Peroy
14. Juni 2016 @ 16:42
Der langweiligste Film übers Ficken, den ich je gesehen habe…